Ich war nie ein Mensch, der gern auf Bäume klettert und noch weniger einer, der gern von ihnen herunterspringt. Es macht mir ein mulmiges Gefühl, auf einer Leiter zu stehen. Fremden Hunden gegenüber bin ich skeptisch, Nachtfalter sind nicht gerade meine Freunde und vor Prüfungen wird mir flau im Magen. Ich würde sagen, diese Dinge machen mir Angst, wie jedem Menschen irgendwelche Dinge Angst machen.
Natürlich habe ich auch Angst vor den großen Dingen: dem Verlust lieber Menschen, vor einer ungewissen beruflichen, politischen und persönlichen Zukunft. Was ich aber lange nicht kannte, war die Angst als ein Dauerbegleiter, als ein Zustand. Dieses Gefühl trat erstmals in mein Leben während meiner Schwangerschaft nach der Fehlgeburt und war während dieser Wochen immer da, mal mehr und mal weniger.
Die Angst, der ständige Begleiter
Nach zwei Monaten Pause nach der Missed Abortion* Anfang Juni 2017 fühlten wir uns bereit für einen neuen Versuch. Ich hatte schnell das Gefühl, es könnte wieder geklappt haben und habe mir am Ende des Monats einen positiven Schwangerschaftstest erhofft. Ich wurde nicht enttäuscht. Und doch: als ich ihn tatsächlich in den Händen hielt und da eine zarte zweite rosa Linie erschien, konnte ich mich wider Erwarten nicht freuen. Sofort setzten sich in meinem Kopf hartnäckige Gedanken fest: Was, wenn es wieder passiert und sich das Kind nicht richtig entwickelt? Was, wenn es ein Windei ist oder eine Eileiterschwangerschaft? Was, wenn ich für all das nicht stark genug bin? Wenn mein Körper das nicht schafft?
Mit der Zeit wurde es etwas besser und doch gab es immer wieder Momente und auch Tage, an denen mich meine Ängste fest im Griff hatten. Aber es wurde leichter damit zurechtzukommen. Hier ein paar Dinge, die mir dabei geholfen haben:
- Die Angst nicht unterdrücken
Der wirklich fieseste Gedanke, den ich hartnäckig im Nacken hatte war der, mit meinen Ängsten dem Embryo in meinem Bauch zu schaden. Ich machte mir große Vorwürfe deswegen und versuchte eine Zeitlang, mich zu positiven Gedanken zu zwingen. Das war so albern wie erfolglos. Ängste sind nun einmal ein Teil von uns. Sie haben einen Sinn und wir tun uns definitiv leichter damit, wenn wir uns mit ihnen auseinandersetzen und nicht versuchen, sie zu unterdrücken. - Der Angst Raum geben
Mich haben meine Ängste weniger durch den Tag verfolgt, wenn ich ihnen eine Bühne gab. Also einen Rahmen, in denen ich meine Sorgen bewusst zugelassen habe. Zum Beispiel half es mir, meine Ängste von Zeit zu Zeit als eine Liste zu Papier zu bringen. Sie dadurch greifbar und konkret zu machen, aber auch überschaubarer.
Das ist sicher nicht jedermanns Sache, aber auch Meditationsübungen haben mir geholfen. Es gibt Übungen speziell zum Thema Angst oder zur Schwangerschaft. Aber auch Entspannungsübungen ohne einen bestimmten Aufhänger können helfen. Ich habe mich einfach durch YouTube geklickt und Verschiedenes ausprobiert. Die Idee hinter den Übungen ist meist, zur Ruhe zu kommen und seine Gedanken zu fokussieren. Das klappte bei mir mal besser und mal schlechter. Und doch ging ich oft entspannter in den Tag, wenn ich mir vor der Arbeit 10 bis 15 Minuten dafür Zeit nahm. - Der Angst einen Namen geben
Reden hilft fast immer – mit verständnisvollen Freunden und Familienmitgliedern, virtuell in einem Forum oder auch mit therapeutischer Begleitung. Ich reflektiere am besten, wenn ich mit anderen rede. Das eröffnet andere Perspektiven und kann neuen Mut geben. Oft reichte es mir in diesen Wochen aber schon, meine Ängste überhaupt einmal auszusprechen. Es stimmt wirklich, dass man sich Dinge “von der Seele reden” kann. - Die Angst mit anderen Augen betrachten
Diesen Tipp gab mir eine gute Freundin und er hat mir wirklich weitergeholfen. Die Idee ist, seine Situation für einen Moment ganz nüchtern und ohne Emotion zu betrachten. So, als würde man sie einfach nur interessiert beobachten und sie einen nicht berühren. Das meint nicht, dass wir unsere Ängste klein reden sollen oder gar so tun, als wären sie nicht da. Oft ertrinken wir aber förmlich in unseren Gefühlen und können keinen klaren Gedanken mehr fassen. Da kann es schon sehr helfen, sich für einen Moment daraus zu lösen und die eigenen Probleme von außen zu betrachten.
Trotz allem
Auch, wenn ich besser mit ihnen umgehen lernte, verschwanden meine Ängste nicht. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nicht berichten, ob die Sorgen irgendwann im Laufe der Schwangerschaft ganz verschwinden. Mich beschleicht das Gefühl, dass sie nur durch andere Ängste abgelöst werden. Es gibt Dinge in diesem Leben, die wir nicht ändern können. Wir können auf Ursachenforschung gehen, Risiken minimieren, die Schwangerschaft engmaschig überwachen lassen, uns unseren Ängsten stellen. Aber ob ein Kind letzten Endes bei uns bleibt oder nicht, liegt genauso wenig in unserer Macht wie in der der Medizin. Es ist manchmal fast nicht auszuhalten und lässt sich doch nicht ändern.
Was ich mir deswegen wünsche für eine etwaige nächste Schwangerschaft: Gerade, weil ich mehr nicht tun kann, möchte ich versuchen, guter Hoffnung zu sein. Wenn ich irgendwie kann, möchte ich vertrauensvoll an den Mini glauben, der da in meinem Bauch zu einem Menschen heranwächst. Dass sie oder er stark ist. Für sich und für mich. Und wenn ich es nicht kann und habe negative Gedanken, dann möchte ich auch das annhemen und nicht zu hart mit mir selbst sein. Ich glaube fest daran, dass unsere Kinder bei uns bleiben und leben wollen und es auch werden, wenn sie nur irgendwie können. So oder so.
*bei einer Missed Abortion (verhaltene Fehlgeburt) hört das Herz des Embryos/Fötus auf zu schlagen, ohne dass sich Zeichen einer Fehlgeburt einstellen (beispielsweise Blutungen)
Bildquelle: Rainer Sturm/pixelio.de